Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU enthält nur wenige Passagen zum Strafrecht – aber die haben es durchaus in sich. Der geplante Kampf gegen Desinformation und Fake News, der Schutz von Frauen durch ein neues Mordmerkmal und die vorgesehenen Strafschärfungen im Sexualstrafrecht werden nicht nur auf Zustimmung stoßen. Doch besonders eine Forderung wirft strafrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen auf. Im Koalitionsvertrag heißt es:
„Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung. Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen.“
Nicht offengelegt wird, in welche Richtung die Ausweitung des Volksverhetzungstatbestandes erfolgen soll. Allerdings hat die Unions-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode bereits einen Vorschlag zur Ergänzung von § 130 StGB unterbreitet. Danach sollte sich wegen Volksverhetzung strafbar machen, wer „das Existenzrecht des Staates Israel leugnet oder zur Beseitigung des Staates Israel aufruft“. Man muss hoffen, dass dieser Vorstoß nicht erneut – und dieses Mal mit den entsprechenden Mehrheiten – unternommen wird. Denn so wichtig und nachvollziehbar eine konsequente Ablehnung antisemitischer Hetze ist: Eine solche Vorschrift wäre ein verfassungswidriger Eingriff in die Meinungsfreiheit. Wer dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht, der leugnet – anders als es der Wortlaut des Vorschlags nahelegt – keinen Fakt, sondern äußert eine Meinung: Ob ein Staat Israel in seiner derzeitigen Form anerkannt werden sollte, ist keine dem Beweis zugängliche Tatsache, sondern eine politische Haltung.
Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist nach Art. 5 Abs. 2 GG aber nur durch allgemeine Gesetze möglich. Darunter sind Gesetze zu verstehen, die „nicht eine Meinung als solche verbieten, […] die vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen“ (BVerfGE 7, 198, 209f, st. Rspr.). Die im Entwurf formulierten Tathandlungen sind hingegen als Antwort auf einen ganz konkreten Konflikt des aktuellen öffentlichen Meinungskampfes gedacht – und damit Paradebeispiele für nicht-allgemeine Gesetze. Das BVerfG hat die von ihm zugelassene Ausnahme in § 130 Abs. 4 StGB (Holocaustleugnung) in der Wunsiedel-Entscheidung explizit als „auf andere Konflikte nicht übertragbare einzigartige Konstellation“ (BVerfGE 124, 300, 329) beschrieben. Und das zu Recht: Ein Sonderrecht für bestimmte Meinungen steht im Widerspruch zum Wortlaut der Verfassung; es darf nicht auf einen Konflikt Anwendung finden, der zwar seinen Ursprung auch in der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft nimmt, der aber heute unter ganz anderen politischen Vorzeichen und von ganz anderen Akteuren geführt wird.
Schon der Anschein politischer Zensur ist in einer Demokratie gefährlich
Es gibt bessere Ansatzpunkte für eine Erweiterung des Volksverhetzungstatbestandes. § 130 Abs. 1 StGB setzt nach derzeit geltendem Recht eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens in Deutschland voraus. Auf Grundlage dieses Tatbestandsmerkmals wird argumentiert, dass sich Äußerungen auf eine in Deutschland lebende Gruppe beziehen müsse. Mit dieser Begründung wurden auch Verfahren wegen antisemitischer Hetze eingestellt, nämlich dann, wenn sich der Hass – vordergründig – gegen Juden in Israel richtete. Eine derart restriktive Lesart vernachlässigt, dass solche Aussagen auf die im Inland lebenden Juden zurückwirken. Gruppenbezogene Äußerungen entfalten über die konkret genannte Teilgruppe hinaus Wirkkraft bezüglich aller anderen Personen, die den entsprechenden Identifikationsfaktor teilen. Eine Neustrukturierung von § 130 StGB, mit der die letztlich inkonsequente Beschränkung auf inländische Gruppen aufgegeben wird, wäre also sinnvoll.
Weitaus dringlicher als eine Verschärfung von § 130 StGB ist jedoch das Gegenteil: eine Begrenzung der Strafbarkeit auf tatsächlich schwerwiegende Verstöße, um staatliche Zugriffe auf die Meinungsfreiheit zurückzudrängen und bereits dem Anschein einer politischen Instrumentalisierung des Strafrechts entgegenzuwirken.
Die Voraussetzungen von § 130 StGB sind an der Grenze zur Unbestimmtheit formuliert. Die Eignung zur Friedensstörung, das Aufstacheln zum Hass, der Angriff auf die Menschenwürde – diese Merkmale bieten breiten Raum für unterschiedliche Auslegungen. Das bringt zwei Probleme mit sich. Zum einen führt ein solch vage gefasster Tatbestand zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Am Rande einer Veranstaltung habe ich mit Kollegen über die Strafbarkeit zweier öffentlicher Äußerungen diskutiert. Die Einschätzungen reichten von „eindeutig strafbar“ bis zu „klar straflos“. Der Justiz geht es nicht anders. So erhielt etwa der CDU Politiker Gürth für den auf afghanische Straftäter abzielenden Post „Dieses Pack muss raus aus Deutschland“ einen Strafbefehl über 18.000 Euro – der vom Amtsgericht wieder aufgehoben wurde. Und die homophoben Äußerungen des Pastors Olaf Latzel beschäftigten jahrelang die Gerichte. Auf die Verurteilung folgte der Freispruch, am Ende erfolgte eine Einstellung gegen Auflagen.
Der zweite, womöglich noch gewichtigere Aspekt betrifft die Sorge vor einer politisch motivierten Anwendung der Strafvorschrift. Strafverfahren wegen § 130 StGB richten sich meist gegen Aussagen im Kontext öffentlicher Debatten. Werden sie wegen Inhalten geführt, die sich an der Grenze des Strafwürdigen bewegen, kann der Eindruck entstehen, der Staat würde politisch unbequeme Positionen mit den Mitteln des Strafrechts bekämpfen. Dies gilt umso mehr, als dass gruppenbezogene Äußerungen häufig besonders sensible und gesellschaftlich umkämpfte Fragen von Migration, Gendergerechtigkeit und Religionskritik berühren. Und es kommt nicht darauf an, ob der Vorwurf eine Berechtigung hat oder nicht – bereits der Anschein politischer Zensur ist in einer Demokratie gefährlich, er bedient das Narrativ, dass man nicht mehr frei „seine Meinung sagen“ könne.
Resilienz heißt auch, kontroverse Positionen aushalten zu können.
Die Offenheit der Tatbestandsvoraussetzungen ist Kommunikationsdelikten immanent. Der Tatbestand der Beleidigung in § 185 StGB verzichtet gleich ganz auf eine Umschreibung des erfassten Unrechts. Da verhetzende Inhalte viele Formen annehmen können, ist eine deutlich präzisere Formulierung der Tathandlungen kaum möglich. Daher verzichten einige Staaten – nicht nur die USA – ganz auf entsprechende Delikte. Eine vollständige Streichung von § 130 StGB und § 185 StGB würde allerdings zu weit reichen. Es ist richtig, in öffentlichen Debatten Grenzen zu ziehen – auch zum Schutz der Meinungsfreiheit. Ein Klima von Hass und Ausgrenzung kann dazu führen, dass sich Personen aus dem Meinungsaustausch zurückziehen. Diese Silencing-Effekte ernst zu nehmen und Hetze gegen Menschen und Gruppen zu verbieten, ist nicht Ausdruck falscher Vulnerabilität, sondern eine Absicherung des freien Diskurses (hierzu wichtig: Rostalski, Die vulnerable Gesellschaft, 2024).
Aber: Die Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine plurale Demokratie gebietet es, staatliche Eingriffe auf eindeutig strafwürdige, schwere Verstöße zu beschränken. Hier sei an die grundlegenden Ausführungen des BVerfG zum Strafgrund der Volksverhetzung erinnert:
Der Schutz vor einer Beeinträchtigung des „allgemeinen Friedensgefühls“ oder der „Vergiftung des geistigen Klimas“ sind ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Auch das Ziel, die Menschenrechte im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung zu festigen, erlaubt es nicht, zuwiderlaufende Ansichten zu unterdrücken. Die Verfassung setzt vielmehr darauf, dass auch diesbezüglich Kritik und selbst Polemik gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird
Was das BVerfG hier beschreibt ist Resilienz – die, anders als es der Koalitionsvertrag nahelegt, nicht in der Ausweitung strafbewehrter Verbote, sondern gerade im Aushalten kontroverser und auch unangenehmer Positionen besteht, in ihrer Widerlegung durch das bessere Argument anstatt eines Verbotes durch den Richter. Die Verfassung verlangt vom Einzelnen nicht, die ethischen Anschauungen der Mehrheit zu teilen. Jeder Bürger hat das Recht, Zuwanderung kritisch zu sehen oder binären Geschlechtsmodellen zu folgen, nicht weltoffen und nicht tolerant zu sein. Äußerungen, die den herrschenden Werteüberzeugungen offen widersprechen, können schwer erträglich sein. Aber, so bringt es das BVerfG auf den Punkt, „eine Beunruhigung, die die geistige Auseinandersetzung im Meinungskampf mit sich bringt und allein aus dem Inhalt der Ideen und deren gedanklichen Konsequenzen folgt, ist notwendige Kehrseite der Meinungsfreiheit“.
Der Appell an die Strafverfolgungsbehörden muss also lauten, Verfahren auf eklatante Fälle aggressiv-menschenfeindlicher Äußerungen zu beschränken. In diesem Lichte sind die Einstellungen der „Sylt-Verfahren“ (zur Erinnerung: auf einer Party war zu dem Lied L’amour toujours die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gesungen worden) trotz aller berechtigten Empörung über das beschämende und geschichtsvergessene Verhalten der Gäste wohl richtig. Die Staatsanwaltschaft Flensburg begründete den Verzicht auf eine Anklage damit, dass aus den Äußerungen zwar „Vorbehalt und Ablehnung“ sprechen würden, nicht aber eine „aggressive Missachtung und Feindschaft in der Bevölkerung“ erzeugt werden sollte. Dieser strenge Maßstab entspricht dem vom BVerfG formulierten legitimen Zweck der Volksverhetzung. Die Vorschrift schütze nicht vor der Konfrontation mit provokanten Ideologien, sondern allein vor Äußerungen, die „ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, d.h. den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren“, also „Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen“ (BVerfG v. 04.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300, 334). Hier wird man nicht nur auf den Wortlaut der Aussage, sondern auf die Gesamtumstände schauen müssen: Ort, Kontext und Stimmung spielen eine Rolle. Wird dieselbe Parole von einer gewaltbereiten Gruppe aggressiv vor einer Flüchtlingsunterkunft skandiert, ist die Grenze zur Strafbarkeit überschritten. Auf die Vorgänge von Sylt ist die breite öffentliche Kritik an den fremdenfeindlichen Gesängen die bessere Antwort als ein staatliches Strafverfahren.
Ein tiefer Eingriff in den demokratischen Prozess
Der Koalitionsvertrag sieht hingegen nicht nur die Verschärfung von § 130 StGB vor, sondern noch ein weiteres Instrument: den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung. Nach § 45 Abs. 1 StGB verliert seine Wählbarkeit automatisch für fünf Jahre, wer wegen eines Verbrechens zu einer Strafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde. § 45 Abs. 2 StGB sieht zudem vor, dass die Gerichte auch bei einigen besonderen, im Gesetz ausdrücklich genannten Vergehen die Wählbarkeit aberkennen können.
Das passive Wahlrecht ist ein konstitutives Element jeder demokratischen Ordnung. Es öffnet die Sphäre politischer Macht für den Bürger, der selbst für ein politisches Amt kandidieren kann, und der gleichzeitig die Freiheit hat, jeden zu wählen, der zur Wahl antritt. Die Entziehung des passiven Wahlrechts ist ein tiefer Eingriff in den demokratischen Prozess. Es überrascht daher, wie wenig sich die Wissenschaft bislang mit Dogmatik und verfassungsrechtlicher Legitimation von § 45 StGB befasst hat.
In den Kommentaren zum Strafgesetzbuch liest man, dass die Vorschrift der „Reinhaltung des öffentlichen Lebens“ diene – eine altmodische Vorstellung, die von vielen Strafrechtswissenschaftlern kritisiert wird. In einer Demokratie sollten Wählerinnen und Wähler selbst entscheiden können, ob sie einem Kandidaten, der eine Brandstiftung oder eine schwere Körperverletzung begangen hat, ihr Vertrauen aussprechen. Zumal die Ergebnisse nach § 45 Abs. 1 StGB höchst zufällig sind, denn was als Verbrechen gilt und was nicht, das ist nicht notwendig Folge einer besonderen Tatschwere. Der Raub ist ein Verbrechen, der Besitz von Kinderpornographie war es und ist es nicht mehr, die Untreue ist nur ein Vergehen. Überzeugender ist es, die Entziehung des passiven Wahlrechts nur aus zwei Gründen zuzulassen. Sie erscheint zum einen dann als angemessenes Mittel, wenn durch die Straftat gerade die anvertraute politische Macht missbraucht wurde, etwa im Fall einer Abgeordnetenbestechung.
Zum anderen kann der Verlust der Wählbarkeit Ausdruck wehrhafter Demokratie sein. In diese Richtung zielt der Koalitionsvertrag, wenn er die Einbeziehung der Volksverhetzung in den Katalog von § 45 Abs. 2 StGB mit einer Resilienzstärkung der Demokratie begründet. Der Gedanke ist grundsätzlich richtig: Wer in strafbarer Weise den Staat und seine Institutionen massiv angreift, der soll keine politische Entscheidungsmacht anvertraut bekommen. Landesverrat, geheimdienstliche Tätigkeit für ein anderes Land, Terrorismusfinanzierung – solche Straftaten schließen zu Recht die Wählbarkeit aus. Hier muss sich die Demokratie vor ihren Feinden schützen.
Zwischen Verteidigung und Selbstaufgabe
Doch das Konzept der wehrhaften Demokratie birgt Risiken. Wie wehrhaft darf eine Demokratie sein, ohne selbst ins Autokratische zu kippen? Wie viel darf man von einem Prinzip aufgeben, um es zu bewahren? Es ist ein schmaler Grat zwischen Verteidigung und Selbstaufgabe, daher dürfen Einschränkungen demokratischer Grundsätze – wie der Wählbarkeit – nicht leichtfertig erfolgen. Es muss stets bedacht werden, dass jedes Instrument, das einmal zugelassen wird, jedes neue Gesetz und jede weite Auslegung fortan in der Welt sind – und sich politisch in beliebige Richtungen einsetzen lassen. Wer Feind ist, bestimmt die Mehrheit, und die kann sich ändern.
Wenn man meint, dass ein Bewerber vom Rechtsreferendariat ausgeschlossen werden soll, weil er in der Vergangenheit für eine rechtsradikale Partei aktiv war, dann gibt es wenig Argumente dagegen, dass einer Lehramtsstudentin in Bayern das Referendariat verweigert wird, weil sie sich in einer extremistischen Klimaorganisation engagiert hat. Klimaschutz und Rechtsextremismus lassen sich nicht vergleichen, könnte man denken. Doch aus Sicht des Rechts besteht bei der Zugangsfrage kaum ein Unterschied: Wenn wir die Mitgliedschaft in nicht verbotenen, aber extremen Organisationen ausreichen lassen, um Menschen von einer Ausbildung auszuschließen, dann gilt das in alle politischen Richtungen. Man kann das wollen, aber man sollte sich dieser Konsequenz bewusst sein.
Ein anderes Beispiel: Der Journalist Ronen Steinke berichtet auf seinem Instagram Account über die Verurteilung einer Frau wegen Volksverhetzung, die auf einer propalästinensischen Demonstration ein Schild mit der Aufschrift „Haben wir aus dem Holocaust nichts gelernt?“ in die Höhe hielt. Auf einem zweiten Plakat stand: „Nein. Zu der Ermordung von derzeit 8500 Zivilsten in Gaza“. Steinke kritisiert die Entscheidung zurecht: Diese Form der Überspitzung muss im freien Austausch der Meinungen möglich sein. Aber: In der Debatte über die Strafbarkeit des Tragens von „Ungeimpft“-Sternen wurde eine weite Auslegung von § 130 Abs. 3 StGB gefordert – die Gleichsetzung eigenen Unrechtserlebens mit dem Holocaust sollte als Verharmlosung strafbar sein. Diese Lesart ist wenig überzeugend, schließlich ging es den Betroffenen nicht um eine Bagatellisierung des Holocausts, sondern um eine – geschmacklose – Dramatisierung der Situation ungeimpfter Personen. Art. 5 Abs. 1 GG schützt Überspitzungen und Polemik, und die Demokratie lebt davon, dass man die Meinungsfreiheit auch und gerade einem politischen Gegner zubilligt. Jedenfalls hat der Wunsch nach strafrechtlicher Härte gegen Impfkritiker hier die Tür geöffnet für eine denkbar weite Anwendung der Norm – die sich nun auch gegen andere Demonstranten mit anderen politischen Zielen richtet.
Heikle Nähe
Für die Entziehung des passiven Wahlrechts bedeutet das vor allem eines: Zurückhaltung. Der Tatbestand der Volksverhetzung bewegt sich in einem sensiblen Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit, die Inhalte, über die verhandelt wird, sind fast immer politisch. An einen politisch umkämpften Straftatbestand, der in seiner Anwendung breite Auslegungsspielräume lässt, nun noch weitreichendere politische Folgen zu knüpfen, ist riskant. Die Justiz gerät hier in Gefahr, von der Öffentlichkeit als politische Instanz wahrgenommen zu werden – mit deren Hilfe man unliebsame Personen aus dem Verkehr zieht. Dieser Eindruck muss vermieden werden, denn das Vertrauen vieler Menschen in den Rechtsstaat ist bereits geschwächt.
Der Gesetzgeber sollte den Verlust der Wählbarkeit neu regeln und einen eng umgrenzten Katalog an Straftaten aushandeln, die klar gegen die Eignung als Volksvertreter sprechen, und die keinen Anlass dazu geben, den Entzug des passiven Wahlrechts als politisches Instrument zu deuten. § 130 StGB eignet sich angesichts seiner derzeit unbestimmten Tatbestandsfassung und der bestehenden Anwendungsschwierigkeiten nicht dazu, in diesen Katalog aufgenommen zu werden. Das Grundgesetz kennt einen Weg, um gegen verfassungsfeindliche Parteien vorzugehen. Anstatt einzelne Akteure von Wahlen auszuschließen, sollte – wer das für richtig hält – für ein Parteiverbotsverfahren streiten.