January 8, 2025
Wer ist „Wir“ und wer darf (es) bleiben? – Verfassungsblog

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Friedrich Merz und die Ausbürgerung als lex ferenda

Friedrich Merz forderte jüngst die Möglichkeit der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, jedenfalls für diejenigen deutschen Staatsbürger, die nach ihrer Einbürgerung zwei Mal straffällig geworden sind. Dieser Fehler müsse korrigiert werden können, wobei Merz die Einbürgerung meint – die Straftat ist ja schon begangen. Merz‘ Begründung, „Wir holen uns damit zusätzliche Probleme ins Land“ rückt abermals die Frage nach der Zugehörigkeit zum Staatsvolk in das Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Wer nämlich die Anforderungen eines Einbürgerungsverfahrens erfüllt, wird nicht „ins Land geholt“, sondern lebt bereits seit mehreren Jahren in Deutschland.

Wer ist also dieses „Wir“, das sich „Probleme“ ins Land holt? „Wir“ – in Abgrenzung zu den eingebürgerten deutschen Staatsangehörigen mit doppelter Staatsangehörigkeit? „Wir“ – die vorher „im Land“ waren? Ein Blick in Art. 116 GG wird der Unterscheidung von eingebürgerten und geborenen Staatsangehörigen eine schnelle Absage erteilen. Zugehörigkeit für eingebürgerte deutsche Staatsangehörige als immerwährend konditionales Unterfangen auszugestalten, widerspricht indes demokratischen Grundsätzen und ebnet den Weg für eine hierarchisierte Zweiklassen-Staatsangehörigkeit.

Die Möglichkeit der Ausbürgerung im bestehenden Recht

Die Staatsangehörigkeit ist als „Produkt der Rechtsordnung“ (Herzog, Grundrechte aus der Hand des Gesetzgebers, in: Fürst/Herzog/Umbach, Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, S. 1417) nicht in Stein gemeißelt. Das sie bestimmende Recht ist vielmehr dem politischen Prozess unterworfen, ob seiner Konstruiertheit veränderbar und kann also Tatbestände, Begriffe und Kategorien beliebig produzieren und verwerfen. In seiner jetzigen Form kennt das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht auch die Ausbürgerung: § 17 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) führt dazu als einfachgesetzliche Grundlage im Sinne des Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG die unterschiedlichen Verlustgründe auf. Nämlich den Verzicht (Nr. 1), den Eintritt in die Streitkräfte eines ausländischen Staates (Nr. 2) und die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (Nr. 3). Die Anknüpfungspunkte dieser Verlustgründe sind klar zu differenzieren: Die freiwillige Aufgabe durch den Staatsangehörigen (Nr. 1), die Verletzung einer implizierten Loyalitätspflicht (Nr. 2) sowie der Betrug innerhalb des Verfahrens durch den Staatsangehörigen (Nr. 3). Keiner dieser Verlustgründe knüpft an rein innerstaatliche Rechtsvorschriften oder Sachverhalte ohne Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit und ihrem Erwerb an. Insbesondere gelten keine explizit unterschiedlichen Verhaltensmaßstäbe der Ausbürgerung für eingebürgerte Staatsangehörige und solche, die mit Geburt staatsangehörig sind.

Weder Verfahrensfehler noch Illoyalität

Lediglich die Ausbürgerung aufgrund eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, wie § 17 Abs. 1 Nr. 3 StAG sie aufführt, hat die administrative Einbürgerung zur notwendigen Voraussetzung und kann somit allein „naturalisierte“ Staatsangehörige betreffen. Es handelt sich bei §§ 17 Abs. 1 Nr. 3, 35 StAG jedoch um das Einbürgerungsverfahren an sich betreffende Vorschriften und damit gerade nicht um eine Regelung, die ex post strengere rechtliche Anforderungen an bereits eingebürgerte Staatsangehörige stellt.

Die Korrektur eines von Merz prophezeiten „Fehlers“ in Form der Einbürgerung, seiner Ansicht nach zutagetretend durch späteres Straffälligwerden des eingebürgerten deutschen Staatsangehörigen, kann ebenso unmöglich unter den Regelungsgehalt der §“ 17 Abs. 1 Nr. 3 StAG, 35 StAG fallen. Soweit der Verlustgrund des rechtswidrigen Verwaltungsakts Straffälligkeit über das in § 35 Abs. 1 StAG explizit gelistete Vorgehen (Drohung, Bestechung) hinaus berücksichtigt, tut er dies lediglich hinsichtlich des Verschweigens einer – bereits begangenen – Straftat (bzw. einer Inhaftierung oder eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens) im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens (Hailbronner/Kau/Gnatzy/Weber/Hailbronner, 7. Aufl. 2022, StAG § 35 Rn. 35 f). Hypothetische, zukünftige Strafverfahren spielen hierbei gerade keine Rolle. Das abgeschlossene Einbürgerungsverfahren stellt keine (strafrechtlichen) Anforderungen in die Zukunft. Und dies aus gutem Grund: Nach dem deutschen Strafrecht straffällig gewordene Staatsangehörige werden nach dem deutschen Strafrecht verurteilt. Der Straffälligkeit von deutschen Staatsangehörigen ist nicht auf der Ebene der Angehörigkeit zum Staat zu begegnen, sondern auf der Ebene des Strafrechts.

Weiterhin stellt die reine Straffälligkeit eines deutschen Staatsangehörigen, wenn er auch eingebürgert ist und Inhaber einer weiteren Staatsangehörigkeit, keine Illoyalität dar, die als Abwendung von Deutschland die Ausbürgerung zur Folge haben könnte. Eine solche Abwendung trifft vielmehr allein auf die spezifischen Verlustgründe der §§ 17 Abs. 1 Nr. 2, 28 StAG zu: Zum einen betrifft sie den Beitritt zu ausländischen Streitkräften (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 StAG), da dieser die Belange eines fremden Staates betrifft. Ebenso fußt der Verlustgrund der konkreten Beteiligung an terroristischen Kampfhandlungen im Ausland (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG), wenn auch mit erheblichem Missbrauchspotential, in dieser Abwendung von Deutschland. Reine Straffälligkeit tut dies nicht. Eine solche Konstruktion, nämlich die Illoyalität bei bloßer Straffälligkeit, für eingebürgerte Staatsangehörige rechtlich festzuschreiben, würde eine hierarchisierte Zweiklassen-Staatsangehörigkeit bedeuten, innerhalb derer über eingebürgerten Staatsangehörigen allein aufgrund der Erwerbsform ihrer Staatsangehörigkeit als „Deutschen auf Bewährung“ dauerhaft das Damoklesschwert der Ausbürgerung schweben würde.

Das Kriterium der doppelten Staatsangehörigkeit

Die von der CDU abgelehnte, aber mit der durch die Staatsangehörigkeitsreform eingeführte Ermöglichung der Mehrstaatigkeit wird mit der Forderung kurzerhand zur Ermöglichung der erweiterten Ausbürgerung umfunktioniert. Dass Merz die doppelte Staatsangehörigkeit ausgerechnet als Möglichkeitsbedingung für den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit heranzieht, scheint jedoch mehr mit verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben als mit einem christdemokratischen Mindestmaß an Verantwortungsbewusstsein begründet zu sein. Die Staatenlosigkeit als äußerste Grenze staatlicher Sanktionierungsmöglichkeiten setzen schließlich Art. 16 GG und das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit fest. Wer jedoch bereit ist, das Recht zugunsten von Ausbürgerungen zu verschärfen, den hält auch die Staatenlosigkeit irgendwann nicht mehr auf.

Vom „Wert“ rein konditionaler Zugehörigkeit

Was aber ist mit dem nicht selten gehörten Einwand anzufangen, wer nicht straffällig werde, habe nichts zu befürchten? – Eine Frage, die sich für Staatsangehörige qua Geburt schon gar nicht stellt. Was deutsche Staatsangehörige grundsätzlich zu befürchten haben, wenn sie straffällig werden, ist eine Bestrafung nach den Maßstäben des verfassungsrechtlich sanktionierten (BVerfG NJW 2023, 2405) Resozialisierungsprinzips. Mit der von Merz vorgeschlagenen Möglichkeit der Ausbürgerung wäre dieser Grundsatz für eingebürgerte Staatsangehörige faktisch außer Kraft gesetzt. Im Gegensatz zum geborenen Deutschen, dem die unwiderlegliche Vermutung sozialer Zugehörigkeit beiseite steht, bedeutet der (zweite?) Fehltritt für Eingebürgerte in der Gesellschaft eine Entfernung aus derselben. Wer sich nicht benimmt und mithin rausfliegt, muss auch nicht resozialisiert werden.

Schließlich ebnet die Ausbürgerung als Bestrafung für straffällige, unliebsame Staatsangehörige den Weg für verschärfte politische Verfolgung. Mit Blick auf die von der CDU geforderte Strafbarkeit der Leugnung eines Existenzrechts Israels (CDU Wahlprogramm, S. 44) scheint diese Schlagrichtung jedenfalls nicht außerhalb jeglicher Vorstellungskraft. Einen gruppenbezogenen Verdacht künftiger Straffälligkeit mit Aussicht auf Ausbürgerung als Stärkung eines immer wieder postulierten „Wertes“ der deutschen Staatsangehörigkeit zu verstehen anstatt in ihr eine Schwächung rechtsstaatlicher Prinzipien und demokratischer Ideale zu sehen – dazu bedarf es einiger Vorstellungskraft.

Das in Merz‘ Forderung implizierte Modell von Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung als rein konditionale Zugehörigkeit legt schließlich nahe, dass Eingebürgerte nie in vollem Sinne deutsch sein können und daher immer mit einer Entziehung ihrer Staatsangehörigkeit zu rechnen haben. Anders als diejenigen deutschen Staatsangehörigen, die in Shachars Bild der Birthright Lottery gesprochen das Losglück der Angehörigkeit qua Geburt hatten, ist die Existenz der Anderen als Teil des Staatsvolks zur Bewährung ausgesetzt. Ob die damit zum Ausdruck kommende Exklusion, das unweigerlich gesetzte stigma ein sinnvolles Mittel gegen Kriminalität und Radikalisierung darstellt, erscheint äußerst fraglich. Für Friedrich Merz und seine Union gilt nun gleichwohl: Wenn die Zivilisierungsmaßnahme der Naturalisierung fehlschlägt, ist das brachial zu korrigieren. Schließlich haben wir einen „Fehler“ begangen.

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